#104 Skopje – zwischen Zerstörung und Größenwahn

Carsten
06. – 09. September 2018
In Skopje wurden in acht Jahren sage und schreibe 136 Denkmäler und Monumente für über 500 Millionen Euro errichtet. Das Zentrum ist voll von riesigen Kriegsherren hoch zu Ross, Denkern und Dichtern, die Brücken säumen sowie schwangeren wie stillenden Müttern inmitten von Springbrunnen. Dieses wahnsinnige Projekt mit dem Namen Skopje 2014 wollen wir uns mal anschauen.
Die Hauptstadt Mazedoniens empfängt uns pünktlich zur Nachmittags-Rushhour mit reichlich Verkehr und wir kurven durch die kleinen Einbahnstraßen um zu unserer neuen Unterkunft zu gelangen. Unser Vermieter erklärt uns noch kurz die Notwendigkeit und den Vorzug einer privaten Garage, die wir auch gleich hinzumieten – es gibt hier im Wohnviertel keine kostenlosen Parkplätze für Auswärtige, dafür übelst teure Parkkrallen – und weil er ein wirklich Netter ist, kostet uns die Garage nichts extra 🙂 Wir haben ein kleines mit allem Notwendigen ausgestattetes Apartment und sind nur 15 Minuten zu Fuß von der Altstadt entfernt.
Heute wollen wir aber nicht gleich durchstarten, sondern gehen erstmal zu einem kleinen veganen Bistro und erleben gleich ein paar Überraschungen. Wir gehen vorwiegend an Häusern aus den Siebzigern vorbei und die Straßen sind teilweise in erbärmlichem Zustand, zum anderen wird bunt und modern gebaut und mittendrin stehen Ruinen, die noch bewohnt sind. Später erfahren wir von einem verheerenden Erdbeben von 1968, welches über 1000 Todesopfer gefordert hat und vieles dem Erboden gleich machte. Die hohe Arbeitslosigkeit und damit verbundene Armut der Bevölkerung ist allgegenwärtig, auch wenn wir durch einen wohlhabenden Teil Skopjes gehen. Das Bistro entpuppt sich als eine kleine Imbissbude mit exakt vier Außenplätzen. Die herzliche ältere Dame macht uns einen großen gemischten Teller von allem und im Anschluss gönnen wir uns noch zwei Kuchen. Super lecker abgefüllt zahlen wir bei der Besitzerin gefühlt viel zu wenig und sind beeindruckt von dem Engagement der beiden liebenswerten alten Damen, die in der teils hippen oder traditionellen Gastro-Szene eine empathische warmherzige Alternative bieten 🙂 Unser Tag war für uns lang genug, wir gehen nun auf die Couch und schauen Fotos 😉
Ein neuer Tag in Skopje, heute ist Nationalfeiertag, denn Mazedonien hat am 8.9.1991 seine Unabhängigkeit von der Jugoslawischen Föderation erklärt. Die meisten Läden haben heute geschlossen und wir gehen durch wenig frequentierte Straßen. Trotz der Gründung der Republik Mazedoniens ist nicht alles so ganz einfach, denn etwa ein Viertel der Bevölkerung (Albanier) wird als Minderheit auch heute noch häufig übergangen und dieser Umstand sorgt für Spannungen. Wir merken erstmal nichts davon und gehen vorbei am vom Erdbeben zerstörten alten Bahnhof hinein in den Altstadtkern. Wir sind von der Präsenz und der Menge an Skulpturen und riesigen Säulen und Gebäuden beeindruckt und es sieht wirklich imposant aus. Brücken sind gesäumt von überlebensgroßen detailreichen Bronze-Statuen, riesige Reiterstatuen mit 26m Höhe, große Brunnen und Torbögen. Es steht einfach an jeder Ecke eine Statue, vor jedem Gebäude und selbst die neuen Museen, Ämter und diverse andere Einrichtungen sind voller riesiger Säulen und Prachtfassaden und natürlich auch gepaart mit Statuen.
Unser erster Gedanke war, boah wow und wenn es dem Tourismus auf die Sprünge hilft, weshalb nicht? Aber halt, da war noch etwas. Denn die Altstadt ist eigentlich keine Altstadt, denn die meisten Bauten sind nicht älter als vierzig Jahre und der protzige Teil stammt tatsächlich aus den Jahren 2010-2018. Auch wenn es den Anschein haben soll, dass es sich um alte geschichtsträchtige Bauten handelt, so sind sie nichts weiter als Neubauten, die dem nationalistischen Gedanken für rund 500 Millionen Euro entsprungen sind und ein bestimmtes Bild Mazedoniens verkörpern sollen.
Dieser Link veranschaulicht die Tragweite des Projekts „Skopje 2014“.
Nahezu alleinig steht noch eine tatsächlich alte Steinbrücke und die Mustafa Pascha Moschee aus der osmanischen Zeit in der Altstadt. Der kleine Bereich des muslimisch geprägten ehemaligen Marktviertels ist von den riesigen Neubauten ausgenommen worden, vielleicht aber nur, weil dort die Gassen zu eng sind – wer weiss, denn bei den Neubauten kommt die Geschichte der albanischen Minderheit nicht vor. Richtig übel schaut es auch hier für die Roma aus, denn ihre Kinder dürfen auch hier nicht zur Schule gehen und so bleibt ihnen der Weg in eine bessere Zukunft verwehrt. Wie kann es eigentlich sein, dass unter unserer aller Augen Kindern ein solches Unrecht angetan wird?
Als wir so munter fotografierten wußten wir noch nicht wirklich viel über die Hintergründe und wie so manches Mal auf unserer Reise schlauten wir uns erst im Nachhinein auf und machten uns unsere weiterführenden Gedanken. Ein weiterer Versuch eine Stadt einfach nur touristisch zu geniessen schlug zumindest im Nachgang fehl. Die Kluft zwischen Arm und Reich und die ethnischen Probleme sind zu offensichtlich. Auch wenn es oftmals anstrengend ist und Zeit kostet, so hilft uns das Nacharbeiten ein wenig mehr von dem zu verstehen und einzuordnen, was wir gesehen haben. Es bleibt zu hoffen, dass die verschiedenen Ethnien trotz politisch unterschiedlicher Interessen und Provokationen diese gebeutelte Stadt zum Blühen zu bringen und gemeinsam die Zukunft gestalten. Außer uns ist heute auch Angela Merkel hier zu Besuch und wirbt für ein Miteinander beim Thema Namensfindung und EU Betritt – die Polizeipräsenz ist jedenfalls auffallend, wenn auch in kleinem Rahmen und es ist vollkommen friedlich und ruhig.
Eine der Berühmtheiten der Stadt ist Mutter Teresa. Ihr zu Ehren wurde eine recht auffälliges und architektonisch spannendes Gedenkhaus gebaut. Interessanterweise gibt es auf dem Balkan in den vorwiegend von Albanern muslimischen Glaubens bewohnten Gebieten solche Gedenkbauten. Mutter Teresas Mission der Missionierung wird weitergelebt, ebenso wie das Verteufeln einer möglichen Abtreibung und die Selbstbestimmung der Frau. In der Hinsicht war Mutter Teresa so gar keine Heilige.
Wir bummeln weiter durch die Stadt und unser nächstes Ziel ist die Festung Kale auf deren Gelände Besiedlungsspuren aus der Bronzezeit gefunden worden sind. In der Geschichte der Festung wurde sie immer wieder zerstört, wieder aufgebaut und umgebaut und vieles zerfiel im Laufe der Zeit. Die heutigen Festungsmauern schauen nicht sonderlich alt aus, sind dafür gut restauriert und gefahrlos zu begehen. Doch auch hier ist der Verfall bzw. die bewußte Zerstörung des Geschaffenen angekommen. Die Treppe zum Aussichtspunkt fehlt, die Gläser vom kostenfrei nutzbaren Fernrohr sind vollkommen zerkratzt und unbrauchbar. Die alten Festungsmauern sind mehr oder weniger zugewachsen zu bestaunen. Es wurde reichlich investiert und sogar eine Art Vortragshalle steht mittendrin, nur leider nicht mehr genutzt und auch hier wächst alles zu und scheint dem Verfall ausgesetzt zu sein. Schade um die Möglichkeiten und das viele Geld.
Wir gehen zurück zu den vielen „Denkmälern“ und während wir an den „Boot-Hotel-Restaurants“, die niemals schwimmen werden vorbeigehen, fällt uns auf, dass viele Skulpturen mit Farbe beschmiert oder bespritzt wurden. Nicht jeder in Skopje scheint die Begeisterung der ehemaligen Politiker zu teilen. Das Projekt Skopje 2014 der alten Regierung ist noch lange nicht beendet, viele Baustellen von weiteren Prachtbauten sind in Arbeit. Doch dieses Jahr hat die aktuelle Regierung Mazedoniens das Projekt gestoppt und angefangen umstrittene Skulpturen abzubauen. Weitere sollen folgen bzw. geänderte die Nachbarländer honorierende Hinweistafeln werden angebracht. Zu groß war die Kränkung der Nachbarstaaten durch Glorifizierung von umstrittenen Akteuren der Geschichte. Aktuell ist also einiges im Umbruch und wir sind gespannt wie sich Skopje weiterhin verändert und ob Mazedonien in den nächsten Jahren in die EU aufgenommen wird. Wir sind jedenfalls froh über unseren Besuch der Hauptstadt mit der wohl umstrittensten Städteplanung. Wir haben den Wahnsinn live gesehen und auch wenn es für einen Städtetrip nicht wirklich ausreicht, wenn Du in der Nähe bist, dann schau doch mal vorbei 😉