Weltreise Tagebuch

#102 Wer hat Angst vorm Kosovo?

Carsten

05. September 2018

Der Kosovo ist uns allen bekannt aus den Nachrichten. Erster Angriffskrieg der Bundesrepublik Deutschland, kriegerische Auseinandersetzungen zwischen der UÇK und Serbien, Kriegsverbrechen auf beiden Seiten, Flüchtlingsströme auf dem Balkan bis in die Schweiz. Aktuell sind immer noch KFOR -Truppen vor Ort und der Süden gilt als sichere Reiseregion. Kosovo wir kommen 😉

Der Kosovo ist seit 2008 der jüngste Staat Europas und wird von 110 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (darunter Deutschland, Frankreich, England, Portugal, Albanien, USA) anerkannt. Die bewegte Geschichte und das aktuell immer noch gespannte Verhältnis zu Serbien ist gut strukturiert unter folgendem Link nachzulesen. Wir mussten uns übrigens auch noch mal aufschlauen, wie es zum Kosovo Krieg kam. Wie immer ist es etwas komplizierter und Gut und Böse lassen sich nicht eindeutig zuordnen. Hier zum lesenswerten Artikel von Planet Schule.

Eigentlich hatten wir zu Beginn unserer Europa Reise nie vor ins Kosovo zu reisen. Zu präsent sind noch die Nachrichten über den Kosovo Krieg. Aber genau genommen fand der Krieg 1999 statt, ist also schon weit über 15 Jahre her. Trotzdem geistern da noch fiese Vorurteile dem Land gegenüber in unseren Köpfen. Aber warum eigentlich? Die Lage ist stabil und bis auf den grenznahen Teil zu Serbien sei das Land sicher zu bereisen laut den Informationen des Auswärtigen Amtes. Warum also nicht dem Land eine Chance geben? Ein Schweizer Ehepaar berichtete auf ihrem Blog sehr positiv von ihrem Aufenthalt und so sind wir dann doch neugierig geworden 🙂 Auf ins Kosovo!

Auf unserer grünen Versicherungskarte fürs Auto ist (wie auf jeder anderen auch) der Kosovo gar nicht angegeben und theoretisch dürften wir so nicht einreisen. Doch auch dafür findet sich im Netz die Lösung – eine Kurzzeitversicherungen kann direkt vor dem Grenzgebäude des Kosovos abgeschlossen werden. Wir machen uns auf den Weg zur Grenze und schließen in einem kleinen Büro kurz vor der Grenze bei einem sehr freundlichen deutsch sprechenden „Versicherungsvertreter“ eine zwei Wochen Haftpflichtversicherung für 15€ für unser Auto ab. Fühlt sich etwas komisch an, also besser hier erst recht keinen Unfall haben. Zahlen können wir übrigens, wie im gesamten Kosovo, in Euro. Irgendwie passt das zum Balkan, alles irgendwie etwas durcheinander. In diesem Fall noch nicht in der EU, geschweige denn von allen Staaten anerkannt, aber den Euro als offizielle Währung haben und gleichzeitig ist unsere Versicherung nicht gültig. Spannend! An der Grenze ist wenig los und wir können gleich zum Grenzbeamten vorfahren. Sieh mal einer an, es gibt sie doch, die netten freundlich lächelnden Grenzbeamten 🙂 Neben den super netten malayischen Grenzbeamtinnen treffen wir erstmals auf einen lächelnden Grenzbeamten – geht doch.

Prizren mit seiner schönen Altstadt soll unser erstes Ziel im Kosovo sein. Die Straßen sind tip top und wir kommen gut vorwärts. Unser erster Eindruck entspricht der Beschreibung eines Reisebloggers. Der Kosovo ist moderner als vermutet! In einer kleinen Stadt gehen wir nochmals Lebensmittel einkaufen und werden an der Kasse gefragt wo wir herkommen. Die Kassiererin ist auch hier mega nett, war eine Zeitlang während des Balkankrieges in Bottrop und spricht gut Deutsch. Ihr Versuch mich unseren Rechnungsbetrag in albanisch nachsprechen zu lassen scheitert leider trotz ihrer wiederholten Bemühungen an meiner Unfähigkeit. Das Warten stimmt die nachfolgenden Kunden etwas unglücklich und wir müssen leider unseren kurzen Smalltalk beenden. Die Sonne lacht weiter vom Himmel und es heizt sich wieder alles auf, das Auto, die Straße und mit dem zunehmenden Verkehr auch so manche Gemüter 😉 Je voller, desto doller fließen wir mit dem Verkehr mit und freuen uns direkt in der Altstadt von Prizren einen Parkplatz zu bekommen. Kleine Hinterhöfe die nicht wirklich zur Bebauung taugen, werden als Parkplätze genutzt und für 1€ pro Stunde ist er sogar bewacht 🙂

Die Sinan Pascha Moschee von 1615 – größtes islam. Gotteshaus des Landes

Alte osmanische Steinbrücke aus dem 15. Jhd.

Als erstes kommen wir an der „Blue Bridge of Love“ vorbei und nicht nur die unzähligen Schlösser, die hier praktischerweise auch verkauft werden, ziehen unsere Blicke an, auch die kunstvoll umhäkelten Baumstämme gefallen uns. Im Hintergrund sehen wir schon die Sinan-Pascha Moschee mit dem höchsten Minarett des Balkans und die Festung Prizrens, auf deren Gelände schon Menschen in der Bronzezeit gelebt haben sollen.

Auch die „alte“ Steinbogenbrücke, die die Bistrica umspannt ist Anziehungspunkt vieler Touristen und Einheimischer. Sie wurde Ende des 15. Jahrhunderts gebaut und 1979 von massiven Wassermassen dem Erdboden gleich gemacht. Drei Jahre später wurde sie neu gebaut und komplettiert seit dem wieder das gewohnte Stadtbild.

Die Menschen, die uns begegnen sind einer modernen Universitätsstadt entsprechend vorwiegend jung, modern gekleidet und auch Touristen sind keine Seltenheit. Die Altstadt mit ihren Cafés lädt zum verweilen ein und da dort auch Alltagsleben (Musikhochschule, privater Wohnraum, kleinere Geschäfte) stattfindet, ergibt sich eine bunte Mischung. Auch wenn Prizren heute Heimat von 77 Moscheen ist und gut 70% muslimischen Glaubens ist, ist die Stimmung und das Stadtbild heute multikulturell und glücklicherweise friedlicher denn je. Prizren ist das kulturelle und politische Zentrum des Kosovos wo viele Minderheiten und Parteien ihren Hauptsitz haben. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieser friedliche Spirit hält.

Verschönerung des Stadtbildes 🙂

Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf und wir gehen noch schnell zur Festung hinauf. Dort erwartet uns ein toller Blick über die Stadt und wieder jede Menge Ruinenmauern auf denen wir herumgehen können. In den alten Kerkern oder anderen etwas versteckten Gemäuern kritzeln Jugendliche ihre Namen hinein und küssen im Verborgenen. Da wollen wir nicht weiter stören und weil die Wolken immer bedrohlicher werden gehen wir wieder hinunter in die Altstadt, um uns noch auf der anderen Flußseite umzuschauen.

Panorama von Prizren auf dem Weg zur Burg

Auf den dicken Burgmauern

Festung von Prizren

Dieser Platz wurde schon zur Bronzezeit (2200 – 800 v. Chr.) von Menschen besiedelt

Selfie-Rama = Panorama mit Mensch, der ein Selfie von sich und dem Panorama macht 😉

Richtig spannend wird es, als wir drei Muezzine gleichzeitig hören können, wie sie zum Gebet rufen. Bei 77 Moscheen ja auch kein Wunder 😉 Leider haben wir nur eine zu kurze Tonaufnahme davon. So als einmalige Darbietung, ohne den Inhalt zu verstehen, klingt es wirklich spannend! Bei dem Gedanken an religiöser Gleichberechtigung kämen noch diverse Glocken unterschiedlicher Kirchen hinzu und das dann täglich, nein Danke! Mir ist es ein Rätsel weshalb religiöser Lärm im öffentlichen Raum erlaubt ist. (Die Kirche in Bad Hindelang hat allein von 22.00-6.00Uhr 144 mal geläutet – einhundervierundvierzig! zur nächtlichen Ruhezeit, nur mal so am Rande bemerkt 😉 )

Altstadtkern mit kleiner Flaniermeile

Gazi-Mehmet-Paşa-Hamam (türkisches Bad) aus dem Jahr 1575

Altstadtkern

Drohendes Gewitter

In direkter Umgebung (quasi eingekesselt) drei Moscheen, die zusammen (plus die 70 anderen Moscheen in der Ferne) zum Gebet rufen. Spannendes Klangexperiment!

Prizren ist abwechslungsreich und spannend und wir würden gerne noch eine Weile bummeln gehen, aber der Himmel kündigt Regen und Gewitter an und da macht dann ein Altstadtbummel auch keinen richtigen Spaß. Dann fahren wir eben heute schon weiter nach Pristina und hoffen auf eine trockene Zeit in der Hauptstadt des Kosovo. Also ab zum Auto und der Sonne entgegen 😉

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