Weltreise Tagebuch

#37 Der traurigste Tag unserer Reise

Carsten

9. Februar 2018

Das Tet-Fest ist in Vietnam das Fest der Feste. Der Beginn des neuen Jahres nach dem Chinesischen Mondkalender, lässt alle Familienmitglieder zusammen kommen. Das Haus wird gründlich geputzt und geschmückt. Der Tet-Kuchen* wird in großen Mengen gebacken und verschenkt. Allen soll es gut gehen und an nichts mangeln. Leider sind diese Traditionen nicht jedem möglich, weil nicht nur das Geld fehlt, um irgendwohin zu fahren.

Tan, der Sohn unserer Homestay-Eltern organisiert mit ein paar Freunden eine kleine Charity-Veranstaltung. Sie haben Kleiderspenden gesammelt, Tet-Kuchen „gebacken“ und weitere Kleinigkeiten besorgt, die sie an besonders bedürftige Menschen zu Tet verschenken wollen. Daran sollen wir und weitere Gäste aus dem Sierra-Homestay teilnehmen.

Wir bekommen einen Roller zur Verfügung gestellt und fahren im Convoy quer durch die Stadt zu einem kleinen noch nicht ganz fertig gebauten Haus. Auf dem Boden liegen Teppiche neben denen viele Säcke mit Kleidung liegen. Es warten noch drei ältere Herren auf uns und insgesamt sind wir ungefähr 15 Personen, die nun Kleidung nach Größen und Zustand sortieren, Briefumschläge beschriften und die Geschenktaschen füllen. Es geht in unseren Augen etwas unkoordiniert zu und mangels Kommunikation macht jeder und wir mittendrin irgendetwas. Am Ende scheinen ausreichend Taschen gefüllt zu sein und es wird alles in einen PKW geladen. Im Convoy aus nun ca. 10-15 Rollern (die Anzahl wechselt immer mal) und einem Auto geht es weiter in die umliegenden Siedlungen. Nach einer Liste werden Menschen besucht, die dann vor aller Augen die Geschenke überreicht bekommen und dabei reichlich mit Handys fotografiert werden. Die Übergabe der Taschen mit Shakehands und bitte einem lächeln für die Kamera wird jedesmal gestellt.

Wir fühlen uns fehl am Platz und versuchen uns im Hintergrund aufzuhalten. Den meisten anderen Gästen aus dem Homestay geht es ähnlich. Nur zwei junge Traveller aus Deutschland holen direkt ihre GoPro raus und mir fällt die Kinnlade herunter. Das meinen die ja wohl nicht ernst, denke ich laut in ihre Richtung. Sie reagieren etwas irritiert und halten sich doch etwas mehr zurück, als wohl geplant.

Wir fahren zu Menschen, die wirklich unfassbar wenig besitzen. Sie haben zwar ein Dach über dem Kopf, doch viel mehr auch nicht. Es sind meistens vier Wände ohne Tür und Fenster mit Planen davor. Es gibt keine Möbel, das Leben findet auf dem Boden statt. Die wenige Kleidung, die sie besitzen hängt über einer Leine und geschlafen wird gemeinsam auf irgendwelchen Unterlagen. Es gibt kein Bad/Klo oder Küche. Privatsphäre ist ebenso wenig vorhanden wir fließend Wasser. Sie leben wirklich am Existenzminimum. Wer die Liste erstellt hat und nach welchen Kriterien wissen wir nicht. Es scheint noch weitere arme Menschen in der direkten Nachbarschaft zu geben und so erscheint es uns irgendwie willkürlich. Doch jeder Beschenkte freut sich sichtlich über die Gaben und nur bei den Familienvätern ist ein wenig an Scham zu spüren, sind sie doch die Verantwortlichen der Familie. Nach ein paar Besuchen werden nun auch wir Farangs eingebunden und genötigt die Geschenke zu überreichen. Das Verhalten der Beschenkten ändert sich nicht, sie spielen mit. Wir fühlen uns noch unwohler und sehen zu, das wir keine Tasche mehr in die Hand gedrückt bekommen.

Als wir bei einer sehr alten alleinstehenden Frau sind, wird nochmals deutlich was wir die ganze Zeit fühlen. Es ist jedesmal ein sehr kurzer Besuch von ganz vielen unbekannten Menschen, die bester Laune sind und gleich wieder gehen, sobald die Geschenktasche überreicht ist und die Fotos gemacht sind. Die Frau beginnt zu weinen und geht schnellstmöglich in Ihre Hütte. Eine junge Vietnamesin folgt ihr und kommt ein paar Minuten später weinend wieder heraus. So einfach ist es eben doch nicht, Gutes zu tun. Nadine und ich beobachten die Situation aus der Ferne und kämpfen erfolglos mit unseren Tränen. Wir stehen einfach nur Hilflos dem ganzen Elend gegenüber. Nach diversen weiteren Geschenken geht es in der Dämmerung zurück ins Homestay.

Am Abend sprechen wir nochmals mit Tan und werden von ihm mit seinen Handy interviewt. Der Versuch armen Menschen zu Tet etwas zu schenken ist nicht nur gut gemeint, sondern hilft tatsächlich mit Kleidung und Essen besser über die Runden zu kommen. Aber wie wir sehen konnten, ist es vielleicht auch die Einsamkeit vieler armen Menschen, die schwer wiegt. Anstatt im Convoy aufzulaufen, könnte es auch eine Möglichkeit sein jeweils nur zu zweit oder allein die Menschen zu besuchen und dafür länger bleiben zu können. Ihnen Zeit zu schenken und sie nicht gleich wieder allein zu lassen. Ob und in wie fern das eine gute Idee ist, läßt sich im Gespräch mit Tan nicht klären. Es bleibt auf Grund der Sprachbarriere ein ungeklärtes Gesamtbild. Wir erlebten den bisher traurigsten Moment unserer Reise.

*Tet-Kuchen besteht aus folgenden geschichteten rohen Zutaten:

Reis

gemahlene Linsen & Bohnen und Kokosnuss

Zwiebeln

Schweinebauch

Zwiebeln

gemahlene Linsen & Bohnen und Kokosnuss

Reis

Diese Zutaten werden in einen quadratischen Rahmen, der mit Bananenblätter ausgelegt ist, geschichtet und anschliessend mit den Bananenblättern verschlossen. Das Ganze wird dann 12 Stunden in Wasser gekocht und fertig ist der Tet-Kuchen.
Wir durften uns einen veganen Tet-Kuchen schichten und bekamen ihn am nächsten Morgen zu kosten. Ohne weitere Gewürze ist es ein Genuss, der sich uns nicht erschließt und auch dass dippen in Zucker half uns nicht weiter. Andere Mitbewohner durften auch schon den original Tet-Kuchen mit Schweinefleisch kosten und waren sichtlich unglücklich über den folgenden Nachschlag.
Doch sein wir ehrlich, es ist purer Luxus bei einem so energiegeladenen Kuchen Geschmackswünsche zu äußern, wenn Hunger zum Alltag der Menschen gehört. Dieser Kuchen ist für viele der Beschenkten ein absolutes Highlight und bietet plötzlich reichlich Nahrung für mehrere Tage. Ein sehr seltener Moment.

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