Weltreise Tagebuch

#40 Diese Stadt treibt uns in den Wahnsinn

Carsten

15. – 21. Februar 2018

Wir freuen uns auf Hanoi, die Hauptstadt Vietnams die über die Tet-Feiertage wie leergefegt sein soll. Da wir schon vorher anreisen und länger bleiben, werden wir wohl einiges erleben. Womit wir nicht gerechnet haben: wie aggressiv uns diese Stadt macht.

Hanoi ist mit 6,5 Millionen Bewohnern nur die zweitgrößte Stadt Vietnams, dafür aber die älteste bestehende Hauptstadt Südostasiens. Als Gründungsjahr wurde 1010 genannt. Zuletzt wurde Hanoi während des Vietnamkrieges bombardiert und zu über einem Viertel zerstört. Das Stadtbild wird von verschiedensten Baustilen geprägt. Von Villen aus der französischen Kolonialzeit über moderne Bürohäuser, große Wohnblöcke und uralten Hütten die irgendwo zwischen gesetzt wurden. Das Stadtbild ist spannend. Vor allem in der Altstadt gibt es viele „Röhrenhäuser“ die nur eine sehr schmale Front besitzen und nach hinten bis zu 60 Meter lang sind. Grund dafür ist die ehemalige Besteuerung, die sich nur nach der Fassadenbreite richtete. So gibt es vorne ein kleines Geschäft, gefolgt von einer Werkstatt und dahinter einem Wohnbereich. Natürlich gibt es auch reichlich alles drei in einem auf nur 10 Quadratmetern.

Hanoi ist…

…leider nicht so schön wie auf diesem Bild.

Eine in der Altstadt lebende durchschnittliche Familie mit 10-12 Personen teilt sich ca. 20 Quadratmeter Wohnfläche und die manchmal vorhandene Toilette mit weiteren Nachbarn. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass gleich die Straße genutzt wird um sich zu erleichtern. Kochen, spülen, Abfall entsorgen, einfach alles was mit Dreck in fest oder flüssig zu tun hat, landet auf dem Gehweg oder der Straße. Fliessend Wasser gibt es meistens aus einer außen an der Hauswand montierten Leitung. Dort wird sich dann auch gewaschen und Zähne geputzt.
Das ganze führt dazu, das sich überall auf dem Boden Lebensmittelreste, Spülwasser, Rotz und Spucke (gefühlt hat jeder hier hat eine Atemwegserkrankung), Erbrochenes, Urin und (Hunde)Kacke, Altöl und Unmengen an Staub vermengt, durch das du dann gehen darfst um von A nach B zu kommen. Dabei strömt dir dann aus den kleinen Gängen jede Menge Schimmel entgegen, denn die durchschnittliche Luftfeuchtigkeit von 80-90% hinterlässt deutlich ihre Spuren bzw. Sporen. Den Volltreffer hast du gelandet, wenn es geregnet hat und das ganze durch die Straßen schwimmt. Glücklich ist derjenige der Gummistiefel besitzt. 😉

Die Luftverschmutzung ist eine weitere Komponente des eigentlich Unerträglichen. Seit wir in Hanoi sind habe ich beim Atmen ein Kratzen im Hals, beim Haarewaschen ist der Schaum grau und die Schleimheute sind geschwollen, ohne das ich eine Erkältung hätte. Glücklicherweise werden wir von alledem durch den Verkehr abgelenkt. Die große Herausforderung in der Altstadt Hanois ist es nicht überfahren zu werden. Wer hupt hat Vorfahrt! Immer! Und wenn nicht, wird halt im Zweifel mal jemand umgefahren. An einer großen Kreuzung haben wir innerhalb von zwei Minuten drei Unfälle gesehen, die glücklicherweise recht glimpflich ausgingen, denn gekümmert hat sich niemand um die Opfer! Wir gehen trotzdem vorwiegend auf der Straße, denn der Gehweg ist meistens von Händlern, Mopeds und Garküchen vollgestellt. Und auch auf der Straße ist es ein Schlangenlinien gehen durch die zweite oder dritte Reihe bzw. durch den Gegenverkehr. So braucht man als Fußgänger sogar für Kurzstrecken einfach ewig und Google Maps berechnet noch nicht die Zickzack Linien, die in Hanoi unumgänglich sind.

Roller so weit das Auge blickt – natürlich alle auf dem Gehweg.

Straßen queren in Hanoi ist wirklich abenteuerlich!

Unverschämt, dass diese Fußgänger immer auf dem Gehweg laufen müssen!

Princess of the road – ihre Eltern haben ein Auto 😉

Anders als in den bisherigen Städten Vietnams fühlen wir uns nicht mehr wirklich sicher, denn in Hanoi wird auch auf Kontakt gefahren und nicht immer ausgewichen oder gebremst! Die Aggressivität findet sich dann auch im Umgangston zwischen den Verkehrsteilnehmern wieder. Es wird immer wieder davon abgeraten sich auf einen Streit einzulassen, weil der oftmals handgreiflich würde. Also auch wenn du im Recht bist, geh weiter und vergiss es, heisst es. Also fast wie bisher, geh deinen Weg, bleibe nicht stehen, kehre nicht um und bedenke Busse haben immer Vorfahrt. Hinzu kommt, dass es in Hanoi keine Handbreit Sicherheitsabstand mehr gibt und auch eine Portion Glück dazugehört unfallfrei durchzukommen. Ich hatte mir zweimal vorgenommen den Verkehr in der Altstadt zu filmen, doch die Umstände liessen es einfach nicht zu, ohne weggedrängt und umgefahren zu werden, denn es wird damit gerechnet, das du permanent aufmerksam bist und ankommenden Fahrzeugen ausweichst.

Man zähle durch: es sind fünf auf dem Moped

Rush Hour

Ein drittes Highlight Hanois ist der Lärm. Hupen gehört im Sekundentakt zu jedem Fahrzeug dazu. Jeder hupt, egal weshalb, Hauptsache hupen, denn wer hupt hat ja Vorfahrt. Stimmt natürlich nicht ganz. Wer am lautesten hupt hat Vorfahrt! Da bei dem ganzen Wettrüsten um die lauteste Hupe niemand mehr erkennen kann, wer nun der Lauteste ist und somit Vorfahrt hätte, wird einfach permanent gehupt und auf ein Leben nach dem Tod vertraut. Kleinwagen haben Bushupen eingebaut, Mopeds lärmen in verschiedensten Tonlagen und ein LKW-Fahrer hat tatsächlich mal mit einem 300db Horn eine Mutter derart erschreckt, das sie ihr Baby fallen liess, welches sofort tot war. Es ist eine Lärmspirale, die aktuell noch kein Ende findet. Hinzu kommen noch Megaphondurchsagen von fahrenden Händlern, Dauerbeschallung durch riesige Karaoke Bars und nicht zu vergessen die Gastronomen, die sich gegenseitig mit ihrer Musikbeschallung übertrumpfen wollen. Zu den alten eher lauteren Fahrzeugen kommen die modernen mit offenen Rohren gepimpten Sportwagen, Harleys und Ducatis wohlhabender Hanoianer die Vollgas auf Menschenmengen zufahren und davon ausgehen, dass die Platz machen. Und sie machen Platz!

Trotz all der negativen Aspekte haben wir versucht Hanoi ein paar gute Seiten abzugewinnen und uns auf den Weg gemacht um die Sehnswürdigkeiten zu erkunden.
Da wäre zum Beispiel der Hoan Kiem See im Zentrum der Altstadt, wo man früh morgens Ruhesuchende beim Thai Chi beobachten kann. Auf einer kleinen Insel, die über eine Fußgängerbrücke erreichbar ist, liegt der Jadeberg-Tempel. Um dort hinzugelangen zahlt man wieder einen Dollar und versucht mit der Masse mit zu schwimmen. Nach der Einlasskontrolle verteilen sich die Menschen etwas, aber auch dort wird geschubst und gedrängelt was die Ellenbogen hergeben. In einem Glaskasten wartet auf uns eine angeblich 400 Jahre alte und zwei Meter große präparierte Schildkröte. Sie wurde 1968 im See gefunden und ist eher 170 cm lang, also bitte nicht enttäuscht sein;-)

Im Jadetempel

Menschenmengen…

…wo man nur hinsieht.

Als nächstes steht ein kleiner botanischer Garten an, der zu unserer Überraschung auch eingesperrte Pfauen und Affen zur Besichtigung bereit hält. Wenigstens leben die meisten Tauben in Freiheit. Nicht so Singvögel, die oft in winzigen Käfigen eingesperrt werden. Soll ja Glück bringen und so 🙁 Der Garten bietet nicht viel und die Mitnahme des Makro Objektives hat sich nicht gelohnt.
Unser Weg führt uns noch an einem Ausläufer der alten Zitadelle vorbei und wir merken, dass es im Regierungsviertel wesentlich ruhiger zugeht. Sogar die Fußwege sind frei von Mopeds! Das ändert sich schlagartig in der Nähe vom Westsee, denn dort gibt es nicht nur die älteste bekannte buddhistische Pagode Vietnams, die Tran Quoc Pagode, zu bestaunen. Auch mit Tretbooten in Schwanen-Optik kann der See erkundet werden. Ganz romantisch vor der Hochhauskulisse 😉 Auch gezüchtete Wasserschildkröten werden am Ufer verkauft. Ihnen die Freiheit zu schenken soll Glück bringen. Der Trubel an der Pagode und auf den Straßen kennt hier keine Grenze. Unfassbar, wieviele Menschen hier unterwegs sind und wieviele Mopedfahrer hupend die Fußgänger auf dem Fußweg zur Seite scheuchen. Uns reicht es wieder einmal und es hilft nur noch die Flucht ins Hotel.
Wären nicht zwischenzeitlich so wundervolle kleine Ruheoasen wie das „Lovegan“ und das „Minh Chay“ gewesen, wo wir super lecker vegan essen konnten ohne von verbrennendem Fleisch mitgeräuchert zu werden, es wäre alptraumhaft. Leider haben über die drei Haupt Tet-Feiertage alle vegetarisch-veganen Restaurants geschlossen. Die Besitzer und Angestellte sind üblicherweise Buddhisten und schliessen in diesem Zeitraum grundsätzlich, um das neue Jahr gebührend begrüßen zu können. Wir sind dann auf konventionelle Restaurants ausgewichen, da sie meistens auch vegetarische Speisen anbieten, die sich leicht ins Vegane umgestalten lassen, wenn sie eh nicht schon von Hause aus vegan sind. Leider sind die Restaurants und Sandwichbuden, die zu Tet geöffnet haben echte Abzockerläden. Schlechte Qualität, selten lecker und dann für viel Geld. Super Kombination! Die kleinen Garküchen am Straßenrand bieten alles, nur nichts Vegetarisches, geschweige denn Veganes. Es ist nicht mal sicher welches Fleisch verarbeitet wurde, ist aber für uns eh egal.

Frühlingsrollen

Kaum zu glauben, aber die sind vegan 😉

Kleines Lokal mit genau zwei Plätzen innen und zwei Tischen außen

Rohkost für Nadine: Zucchini Spaghetti mit Pesto. Für Carsten: Veggie Sandwich

Nach den Versuchen Hanoi halbwegs entspannt zu ertragen, verbringen wir die meiste Zeit in unserem relativ ruhigen Hotel und arbeiten am Blog und den Fotos und organisieren die Weiterreise. Das brüchige Wlan nervte auch dort und die ewigen Entschuldigungen vom wirklich netten Personal nervten irgendwann auch nur noch. Was hilft es uns, wenn irgendwann ein neuer Router kommt und dafür ständig ein Mitarbeiter bei uns im Zimmer steht um festzustellen, das das Wlan tatsächlich nicht geht. Auch haben wir kein Fenster und dafür eine Dauerfeuchtigkeit von 80%. Super für die Klamotten….

Schönes Zimmer, leider kein Fenster > 80% Luftfeuchtigkeit

Der Wäscheservice bringt uns feuchte Sachen wieder. Wir föhnen…

Fazit: Der Dreck, der Gestank, die Lautstärke, die unfassbar schlechte Luft und das absolut rücksichtslose Verhalten haben wir nicht in unser Herz geschlossen. Im Gegenteil, wir stehen dem Ganzen hilflos und immer aggressiver werdend gegenüber. Es heisst Hanoi sei nicht so verwestlicht wie Saigon. Das mag sein, hier findet tatsächlich noch jede Menge Leben auf der Straße statt und nicht umsonst wird des öfteren von einem Golden-Slum gesprochen, wenn es um die Altstadt Hanois geht. Die Mietpreise sind aufgrund des Tourismus hoch und Wohnstandards elendig. Wer sich das Elend gerne inmitten von Partystimmung anschaut, aggressives Verhalten nicht der Rede wert findet und über all die anderen unangenehmen Dinge hinweg schauen kann, wird sich hier wohlfühlen und Hanoi spannend finden. Wir sind froh weiter nach Laos reisen zu können, wo wir uns dann erst einmal erholen wollen.

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