Weltreise Tagebuch

#63 Geschüttelt, nicht gerührt! Bahnfahren in Sri Lanka

Carsten

23. Mai 2018

Zugfahren in Sri Lanka ist extrem günstig, extrem langsam und so ruckelig wie auf einer Buckelpiste beim Skifahren. Die extrem schöne und atemberaubende Landschaft entschädigt aber für alle Strapazen. Wir fahren von Colombo nach Ella. Für die 278km lange Strecke benötigen wir schlappe 9 Stunden bei einer Höchstgeschwindigkeit von 30m km/h. Dafür zahlen wir auch nur 3,20€ pro Person und haben sogar einen reservierten Platz. In der dritten Klasse.

Heute verlassen wir unser Ayurveda Resort und lernen endlich das Land Sri Lanka kennen. Wir freuen uns auf die berühmte Zugfahrt ins Hochland, wo die Teeplantagen regieren und ein milderes Klima herrscht. Endlich kein Dauerschwitzen mehr. Und hoffentlich keine Mücken!

Aber zuerst einmal bringt uns ein Uber Fahrer von Negombo nach Colombo Fort – zum Hauptbahnhof. Wir fahren durch den Monsunregen an jeder Menge Häusern vorbei, deren Zustand katastrophal ist. Wir sind entsetzt wieviel Armut wir in der Hauptstadt sehen und wie rückständig das Leben hier erscheint. Als wir am Bahnhof ankommen, erleben wir den ersten kleinen Kulturschock seit unserer Reise. Nicht nur, dass unfassbar viele Menschen herumwuseln, sondern auch die Überforderung am Bahnhof, der nicht mal im Ansatz modern ist und für uns total unübersichtlich erscheint mit all den singhalesischen Kringelbuchstaben. Zu unserem Glück dürfen nur Fahrkartenbesitzer, also Reisende den Bahnhof betreten und somit sind die Bahnsteige nicht vollkommen überfüllt. Wir werden am Eingang direkt an einen taubstummen Mann übergeben und der bringt uns netterweise zum richtigen Gleis und Abschnitt. Dort zeigt er uns aus welcher Richtung der Zug kommt, damit wir ihn erkennen. Denn sowas wie Wagenstandanzeiger oder sonstige Hinweisschilder gibt es hier nicht und die Durchsagen auf Singalesisch bringen uns auch nicht weiter 😉

Während wir auf den Zug warten, werden wir neugierig von den Einheimischen angestarrt. Wie seltsam, man könnte denken, dass Tourismus in Sri Lanka nichts Ungewöhnliches ist, aber scheinbar fahren die meisten Touristen nicht ab Colombo mit der Eisenbahn ins Landesinnere. Die vorwiegenden Pauschaltouristen werden in Mietwagen oder Reisebussen zu ihren Zielorten gefahren und bekommen so wenig vom Alltag der Hauptstadt mit. Uns erging es bei unserer Anreise auch nicht anders. Am Flughafen wartete ein Fahrer auf uns und brachte uns direkt zur Aryuveda-Kur. Als wir dort nach öffentlichen Verkehrsanbindungen fragten wusste keiner der Angestellten Bescheid, denn es fragt sonst niemand danach. Alle Gäste nehmen sich üblicherweise einen Fahrer um Sri Lanka zu erkunden oder fliegen gleich wieder zurück.

So stehen wir nun da auf dem Bahnsteig und sind überrascht wie schnell die Zeit vergeht, wenn man sich nicht auskennt und mit vielen neuen Eindrücken konfrontiert wird. Nochmal kurz aufs Klo, wo das Anstarren leider nicht aufhört und für einen besseren Blick auf den „Touristen“ auch schnell mal das Urinal gewechselt wird. Tolles Ding 😉 Dann kommt um 8.30 Uhr unser Zug für den wir eine Sitzplatzreservierung in der dritten Klasse haben. Erste Klasse gibt es heute nicht, zweite Klasse ist seit Wochen ausgebucht und die dritte Klasse soll im Abteil mit Reservierung recht bequem und nicht mehr mit Holzbänken ausgestattet sein. Neun Stunden dauert die Fahrt und wir sind sehr gespannt auf diese Erfahrung. Die Ausblicke sollen traumhaft sein und der Zug ein Erlebnis.

Reisterassen vor den ersten Hügelausläufern 🙂

Frische Luftzufuhr – besser als Klimaanlage

Der Zug hält und schon ist wieder der taubstumme Mann zur Stelle und bringt uns zu unserem Abteil und gibt dem Schaffner Bescheid. Nach einer kleinen Spende für die nette Unterstützung machen wir es uns bequem und sind überrascht. Bequeme gepolsterte Sitzbänke und ein kleiner Tisch ist auch da. Dritte Klasse haben wir uns ungemütlicher vorgestellt. Im Laufe der Fahrt können wir in vorbeifahrende Züge schauen und sehen, das die dritte Klasse auch ganz anders ausschauen kann. Wir haben wirklich Glück mit unserem Zug!

Der 350m hohe Lotus Tower in Colombo

Auch solche Züge sind noch nicht im Museum!

Vorort von Colombo

Beim Anfahren kommt der erste Schock. Wow, das nenn ich mal gefühlvoll, oder eben auch nicht! Du kennst sicher den Moment wenn neue Wagons angehängt werden. Nun stell Dir vor das geschieht ohne vorher zu bremsen. Unser Zug scheint keinerlei Dämpfungssystem zu haben, dafür aber jede Menge Spiel zwischen allen beweglichen Teilen. Bei jedem Anfahren oder Bremsen fühlt es sich an wie ein Auffahrunfall. Körperspannung muss her und am besten noch beide Hände an der Tischkante zum Abstützen. Na ja, wird schon. So ruckeln wir los und kommen an den ersten überschwemmten Hütten und Feldern vorbei. Der frühe Regen trifft die Menschen hier hart, denn auch große Teile ihrer Ernte wurden zerstört.

Man beachte den Abstand und die Unebenheit. Kein Wunder, dass die Zugfahrt holprig ist!

Abstände so dick wie Mittelfinger 😛 Und ja, dieses Gleis wird befahren!

Der Zug fährt langsam, wirklich langsam und dabei schaukelt er gemütlich hin und her. Nach zweieinhalb Stunden erreichen wir Kandy auf 500 m.ü.M.. Hier wechselt der Zug die Fahrtrichtung und wird richtig voll. Jeder Sitzplatz belegt und das Gepäck füllt nun auch teilweise den Gang. Der Abschnitt von Kandy nach Ella soll der schönste sein. Kein Wunder, dass nun viele Touristen zusteigen, um diese Fahrt mitzuerleben. Berührungsängste sollte man ab hier jedoch nicht haben 🙂

Wir ruckeln weiter und fangen an unsere Kekse und Cracker zu essen, Hunger macht sich breit. Pünktlich kommen ein paar Jungs mit diversen Leckereien vorbei. Sie verkaufen Samosas in verschiedenen Varianten und auch für uns ist veganes Essen dabei. Prima, Kekse und Cracker wieder weg und weiter geht es mit Localfood 🙂 Netterweise kommen die Verkäufer immer wieder mal vorbei und so sind wir bestens versorgt.

Vielleicht hast Du Dich gefragt wie das mit den Toiletten bei einer Neun-Stunden-Fahrt und dem ganzen Geruckel ist. Toiletten gibt es und sie sind sogar recht sauber und wenn Du die Standpausen in den Bahnhöfen nutzt, geht auch alles dahin, wo es hin soll 😉 Es ist besser als wir befürchtet hatten und es besteht kein Grund zur Panik, auch wenn das bei manchem Mitreisenden anders aussah. Das hektische suchen und verreiben von Desinfektionsmittel sowie der leicht angewiderte Gesichtsausdruck ist schon amüsant zu beobachten 🙂

Von Kandy geht es weiter ins Innland, rauf bis auf 1431 m.ü.M. und die Durschnittsgeschwindigkeit nimmt weiter ab. Dafür wird die Strecke kurviger und die Gleise sind in noch schlechterem Zustand. Der Zug schaukelt und ruckelt ohne Ende. Auch wenn die Fahrt meinen Rücken wirklich fordert, die Aussicht auf die grandiose Natur Sri Lankas ist es wert. Wir können uns an den Grüntönen kaum satt sehen, auch wenn es die meiste Zeit regnet. Erst sahen wir Reisfelder, nun Teeplantagen, Schluchten und Wasserfälle.

Wunderschönes, grünes Hochland

Selbst bei Regen sieht die Landschaft atemberaubend schön aus

An den kleinen „Bahnhöfen“ gibt es ein zweites Wartegleis und so ist die einspurige Strecke von beiden Seiten befahrbar. Zur Sicherheit muss immer ein sogenannter Token an den Bahnhofsvorsteher gegeben werden, der ihn dann an den nächsten Zugführer gibt, damit dieser die Strecke nun befahren darf. Ohne Token darf nicht weitergefahren werden. Dieses Sicherheitssystem ist so alt wie die Bahn auf Sri Lanka selbst und funktioniert immer noch unfallfrei. Immerhin seit 1864.

Warten auf den Gegenzug – Nadine schaut wo er bleibt

Der Bahnhofsvorsteher wartet schon um den Token in seiner Hand dem Zugführer zu überreichen

Wenn gerade kein Zug fährt, wird die Gleisstrecke zum Gehweg, da es im Innland meistens die kürzeste Strecke zwischen den Wohnorten und dem Bahnhof ist. Auch für Ausflüge zu Wasserfällen oder in die Teeplantagen ist es der bevorzugte Weg. Für Einheimische Alltag und für Touristen eine weitere Überraschung 🙂

Wenn der Zug kommt, müssen die Gleis-Fußgänger an der Seite warten

Ist der Zug weg, kann man wieder gemütlich weiterlaufen 🙂

Hier ein kurzer kritischer Hinweis zu den Teeplantagen. Leider werden auch hier immer mehr Hänge gerodet und so gibt es nach langen Starkregenfällen vereinzelte Erdrutsche, wo jedes Jahr Menschen ums Leben kommen. Auch der starke Einsatz von Pestiziden (allen voran Lipton Tea) macht den Boden und der Gesundheit der Menschen vor Ort zu schaffen. Wir kaufen aus diesem Grund Tee aus biologischem Anbau und nach Möglichkeit aus fairem Handel. Nebenbei schmeckt er uns auch besser 😉

Tolle Nebelstimmung

Teeplantagen so weit das Auge reicht

Die Engländer brachten die Teekultur nach Sri Lanka

Mittlerweile ist Sri Lanka bekannt für Schwarztee

Gegen 18 Uhr mit nur einer halben Stunde Verspätung, kommen wir durchgeruckelt und geschüttelt an unserem Ziel an und werden herzlich von unserem neuen Gastgeber am Bahnhof erwartet. Mit seinem Tuktuk bringt er uns zu seinem Haus und im Dämmerlicht sehen wir zum ersten Mal die grandiose Aussicht die wir gebucht haben und vier Tage geniessen dürfen. Voll schön hier 🙂

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