#103 Pristina und der Kampf der Bären
Nadine
05. – 06. September 2018
Pristina – Hauptstadt des Kosovos – ist eher wenig attraktiv für Besucher. Aber sie liegt auf dem Weg zu einem besonderen und unterstützenswerten Projekt. Also nehmen wir die nur 145.000 Einwohner zählende Stadt mit und freuen uns auf ein echtes Highlight: dem Besuch von Braunbären!
Eben noch in Prizren und nun schon mitten im Feierabendverkehr der Hauptstadt Pristina. Wir haben noch nichts gebucht und Campingplätze gibt es im Kosovo (noch) nicht. Also versuchen wir einfach unser Glück im Stadtzentrum. Wir lassen die hochpreisig aussehenden Hotels links liegen und steuern ein Hotel an, dass bezahlbar aussieht. Mit eingeschalteten Warnblinklichtern lassen wir den Wagen am Straßenrand stehen und fragen nach. Leider ist schon alles ausgebucht, aber der nette Hotelbesitzer zeigt zur rechten Seite und sagt: „Fragt doch mal im Hotel Plaza an. Nur 50m von hier.“ Ohje „Hotel Plaza“ – klingt schon so teuer. Aber na gut. Versuchen wir es einfach mal. Und tatsächlich: ein Zimmer ist frei. Und was kostet der Spaß? „79€ – online, für euch 50€“ Uuuups. Nicht unser Budget. Der Besitzer überlegt. „Okay – 40€. Schaut es euch ruhig an. Es ist sehr modern!“ Puuuh 40€ ist eigentlich immer noch nicht unser Budget. Aber das Zimmer ist wirklich toll, es gibt auch einen kleinen Kühlschrank für unsere Lebensmittel und alles ist sauber. Also gut. Wir nehmen es. 🙂 Parken können wir nach einigem hin und her dann auch direkt vorm Hoteleingang (der einzige mögliche Platz).
Nach dem Einchecken machen wir uns auf die Suche nach einem kleinen Lokal, dass uns HappyCow empfohlen hat. Nix wie hin. Google Maps führt uns ein wenig an der Nase herum, Anwohner versuchen uns, leider erfolglos, hinzuführen. Also versuchen wir noch einmal den eigentlich Zielort einzukreisen 😉 Mit Zielstrebigkeit, offenen Augen und einer guten Portion Glück werden wir in einer kleinen hinteren Ecke eines kleinen Seitenwegs einer kleinen Seitenstraße fündig 🙂 Und das Suchen hat sich gelohnt. Leckere Falafal Bowl mit frischem Gemüse, Pitabrot, Salaten und und und. Mehr als genug.
Die neu erbaute Kathedrale der Seligen Mutter Teresa
Das Newborn Denkmal, dass 2008 am Tag der Unabhängigkeitserklärung enthüllt wurde. Zum zehnjährigen Jubiläum wurde das B durch eine „1“ ersetzt
Wir schlendern im schönen Abendlicht zurück ins Hotel. An den vollen Straßen beobachten wir wie während der Rotphasen Romakinder Autoscheiben putzen um ein paar Cent zu verdienen. Nicht alle wollen diese unfreiwillige Dienstleistung honorieren. Wie würden wir uns verhalten? Sollten die Kinder nicht lieber in die Schule gehen? Oder jetzt um die Zeit zum Abendessen zusammen sitzen? Aber Roma werden wohl in fast jedem Land diskriminiert. Später erfahren wir, dass sie keine Schule besuchen dürfen, selbst wenn sie wollten. Ihre dunklere Hautfarbe verrät sie oft und so bekommen sie nur schlechtbezahlte Jobs, die zum Leben nicht reichen. Also müssen auch die Kinder Geld verdienen. Oder betteln gehen.
Am nächsten Morgen besichtigen wir die neugebaute katholische Kathedrale der Seligen Mutter Teresa. Von innen ungewohnt wenig protzig. Sehr angenehm. Besonders weil sie von privaten Spendengeldern errichtet wurde und nicht aus der Staatskasse. Weiter gehts zum Newborn Denkmal, dass 2008 zum Tag der Unabhängigkeitserklärung Kosovos enthüllt wurde. Das Erscheinungsbild der drei Meter hohen Buchstaben wechselt und da aktuell 10jähriges Jubiläum gefeiert wird, wurde der Buchstabe B durch eine 1 ersetzt, so dass sich die Zahl 10 im Schriftzug „versteckt“. Weiter geht es zum außergewöhnlichsten Gebäude. Die Nationalbibliothek des Landes hat zwar schon den Preis des hässlichsten Gebäudes der Welt „gewonnen“, aber Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Wir finden es ziemlich spannend. Besonders aus der Ferne sieht es sogar recht modern aus. Von nahem enthüllt es aber sein wahres Alter und sieht ziemlich heruntergekommen aus.
Schön ist die Hauptstadt des Landes wirklich nicht und Müll liegt hier an jeder Ecke rum. Da war Prizrens Altstadt viel sauberer. Aber unser eigentliches Ziel und Highlight kommt erst noch und lässt uns zügig die Stadt verlassen.
Wir waren nun schon in einigen Nationalparks im Balkan unterwegs, in denen auch Bären leben. Die Hoffnung war groß, dass wir einem Bären begegnen könnten. Aber leider haben wir keinen einzigen gesehen. Heute werden wir aber definitiv welchen begegnen! 🙂 Denn es geht in den Bärenpark von Pristina. Hier können Bären ihren Lebensabend verbringen, die aus illegaler Tierhaltung gerettet wurden. Eine Auswilderung ist aufgrund der traumatischen Vergangenheit der Tiere keine Option. Sie würden in der Wildnis nicht überleben. Der traurige Hintergrund: Bären durften (legal!) bis 2010 in Restaurants und Hotels in winzigen Käfigen gehalten werden und der Gästebelustigung dienen. Sie wurden mit Bier abgefüllt, mit Essensresten beworfen, geschlagen und getreten und genügend zu Essen und zu Trinken bekamen sie nur selten. In Ketten gelegt und in engen Käfigen gehalten, konnten sich die Bären der Willkür der Besitzer nicht entziehen. Erst mit dem Verbot der privaten Haltung von Bären konnten sie von der österreichischen Organisation Vier Pfoten in Zusammenarbeitung mit der KFOR (Kosovo Truppe) gerettet werden.
Mittlerweile leben 19 Braunbären in dem 16 Hektar großen Park. Neben mehreren einhundert Quadratmeter großen Eingewöhnungsgehegen gibt es auch viele weitläufige Freigehege. Geschulte Tierpfleger beobachten die Verhaltensweisen der Bären. Die meisten brauchen Zeit bis sie ihre aus der jahrelangen Gefangenschaft antrainierten Gewohnheiten ablegen. Auch der Gesundheitszustand wird gut überwacht. Oftmals bekommen die Bären hier im Park das erste Mal artgerechtes Futter und die sanften Tiere blühen wieder richtig auf. Lethargisches im Kreis drehen oder auf und ab gehen wird nach und nach abgelegt. Das alles braucht aber Zeit. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Ein echtes Erfolgserlebnis für den Park war, als der erste Bär eine Höhle baute und Winterschlaf hielt. Etwas was in der Gefangenschaft nicht möglich war.
Die Bärengehege sind doppelt gesichert und neben einem elektrischen Zaun gibt es noch einen zweiten meterhohen Maschendrahtzaun. Sieht aus wie im Hochsicherheitstrakt eines Gefägnisses. Aber Auflagen sind Auflagen und ohne die Erfüllung selbiger gäbe es auch keinen Bärenpark.
Genug nun – wir wollen die Bären sehen! Wir zahlen pro Person lächerliche 2,50€ Eintritt und bekommen noch erklärt, wo der Weg anfängt und wie lang der Rundweg ist. Es geht über einen Pfad in den Wald hinein und nach guten 500m stehen wir vor dem Eingewöhnungsbereich der Bären. Junge Pfleger und Freiwillige hocken vor den Zäunen und beobachten die Bären. Wobei: aktuell gibt es nicht viel zu sehen. „Schlafenszeit“ sagt eine junge Frau zu uns. Bis auf einen Bären liegen wohl alle im Häuschen. Nur einer liegt auf der Türschwelle und schaut verschlafen zu uns rüber.
Na gut, dann versuchen wir es bei den Freigehegen. Und juchhuu…. das Glück ist uns hold. Gleich zwei Bären direkt am Zaun! Und soooooo plüschig und süß! 😀 Das Fell glänzt und sieht so flauschig aus, dass man es am liebsten streicheln möchte. Kein Wunder, dass Teddybären die liebsten Kuscheltiere sind! Wir beobachten die zwei und verfolgen jeden ihrer Tritte. Irgendwann haben sie genug und entfernen sich vom Zaun. Wir bleiben. Und dürfen Zeugen von einem ausgiebigen Bärenbad werden!
Das Weibchen und das deutlich größere Männchen scheinen sich gut zu verstehen. Oder doch nicht? Von einem auf den anderen Moment richtet sich die Bärenlady auf und verpasst dem Herren ein paar Ohrfeigen. Der wiederrum lässt das nicht auf sich sitzen und verteilt ebenfalls ein paar Watschen. Die Mäuler sind weit aufgerissen und entblößen spitze Zähne. Das Wasser spritzt in alle Richtungen. So schnell wie es anfing, so schnell hört es wieder auf. Das Spiel wiederholt sich noch zweimal. Irgendwann verlässt das Männchen das Badebecken, schüttelt sich das Wasser aus dem Fell und trottet langsam davon. Alleine Baden ist ja irgendwie blöd und so schwimmt das Weibchen schnell ans Ufer und folgt ihm. Er dreht sich zu ihr um und hockt sich auf die Hinterbeine. Kaum angekommen, richtet sich das Weibchen auf und verpasst dem nun gleich großen Artgenossen wieder ein paar mit den Pfoten. Das Kräftemessen geht weiter. Während Carsten fleißig ein Foto nach dem anderen schießt, halte ich diesen „Kampf“ per Video fest. Die Bilder sehen übrigens viel schlimmer aus, als es in Echt war. 😉 Ob die beiden grad anbändeln? Nach dem Motto: „Was sich liebt, das haut sich“? 😀
Nach diesem Schauspiel trotten die beiden Bären aus unserem Sichtfeld und wir schauen uns die anderen Gehege an. Die meisten Bären scheinen zu schlafen. Nur einen sehen wir noch direkt am Zaun liegen. Immer wieder sind die Geschichten der einzelnen Bären am Gehege befestigt. Auch ein Original Käfig aus der Restaurant Zeit der Bären ist neben den traurigen Bildern aus der Gefangenschaft aufgestellt. Der Bärenpark ist „ein Ort der Hoffnung – nicht nur für Bären“ so tituliert es das Münchener Abendblatt. Ein lesenswerter Bericht, der auch auf die noch immer schwierige Situation zwischen den verschiedenen Ethnien des Kosovos eingeht. Wir jedenfalls sind sehr glücklich die geretteten Bären sehen zu dürfen. Es sind erstaunliche Geschöpfe und wir hoffen sehr, dass auch in Albanien die „Tradition“ der Bärenrestaurants ein Ende findet. Wer mit seiner Stimme helfen mag – hier geht es zur Petition von Vier Pfoten.
Ein heftiger Regenschauer beendet etwas vorzeitig unseren Besuch im Bärenpark und wir treten unsere Weiterfahrt nach Mazedonien an. Heute nachmittag kommen wir in der Hauptstadt Skopje an. Mal schauen, wie es uns dort gefällt 🙂