Das im Verkehr von Vietnam andere Regeln gelten als in Deutschland, ist wie überall in Asien, nichts Neues 🙂 Vollkommen verrückt wird es, wenn einfach überall gefahren wird, wo gerade Platz ist, unabhängig der Fahrtrichtung und gegebenenfalls auch auf dem Gehweg.

Zulässige Höchstgeschwindigkeit in der Stadt sind 40km/h und auf dem „Highway“ 60km/h 😉
Folgende Spielregeln gelten für Mopeds bei Geschwindigkeiten bis ca. 30km/h: Einfach immer fahren, egal in welche Richtung, egal auf welcher Seite und möglichst überholen und vordrängeln wo immer ein Fuss zwischen passt. Der Hauptverkehrsstrom hat irgendwie Vorfahrt und beim Abbiegen jegliche Lücke nutzen bzw. (nur im Notfall) anhalten und warten, bis so viele abbiegen wollen, dass sich dieser Abbiegepulk gemeinsam den Weg erobern kann. Das geschieht recht schnell und auch fliessend. Gestanden wird hier extrem selten, das macht es auch so anspruchsvoll, denn sekündlich ändert sich die Situation. Auch Ampeln helfen wenig. Du kennst den „Grünen Pfeil“ bei uns? Rechts abbiegen dürfen trotz roter Ampel, nach vorherigen Anhalten?! Diesen grünen Pfeil gibt es hier auch! Er ist unsichtbar, zeigt in jede Richtung und ist ohne Anhalten zu nutzen! Sehr gerne auch auf Alternativfahrbahnen wie dem Gehweg! Einerseits scheint es cool beim Abbiegen nicht mehr anhalten zu müssen, egal ob rot oder nicht, andererseits kommen sie halt immer von allen Seiten gefahren und wer steht, steht im Weg!
Autos sind die Störenfriede in diesem Fluss, sie nehmen zu viel Platz ein und sind zu unbeweglich.
Busse sind der eigentliche Alptraum, sie haben immer Vorfahrt und hupen sich Vollgas durch die Massen!

Ab ca. 30,49km/h kommt eine weiter Spielregel hinzu. Autos und Lkws dürfen nun auch den Mopeds jegliche Vorfahrt nehmen, den Weg versperren und zur Vollbremsung zwingen. Bei Überholmanövern dürfen entgegenkommende Mopeds auch in den Strassengraben abgedrängt werden!
Dafür dürfen Mopeds auch weiterhin als Geisterfahrer jegliche Fahrtrichtung frei wählen, auch auf dem Highway! Üblicherweise fährt man beim Abbiegen auf den Highway erst eine zeitlang als Geisterfahrer, um dann, bei einer sich bietenden Gelegenheit auf die eigentliche Fahrspur durch zu mogeln. Beschleunigungsspuren sind eben dort, wo Platz ist. Für Kurzstrecken bleibt man grundsätzlich auf seiner Seite, egal welche Fahrtrichtung, da lohnt ein Seitenwechsel nicht. Kurzstrecken sind variabel so zwischen 5 und 1000 Metern.
Das ganze führt dazu, das du immer, links wie rechts, mit überholenden und entgegenkommenden Fahrzeugen rechnen musst! Ist dir dein Leben wichtig, sei bereit auszuweichen, in den Graben zu fahren oder eine Vollbremsung hinzulegen.
Der Vorteil des ganzen Wahnsinns? Der Verkehr bleibt meistens im Fluss und so scheint es weniger Staus zu geben, obwohl unfassbar viele Fahrzeuge unterwegs sind.
Eine verheerende Unfallstatistik zeigt deutlich die Nachteile auf. Da hilft auch die Helmpflicht nicht, da diese Helme in der Regel nur „Plastikhüte“ sind, wenn sie überhaupt getragen werden.

In Dalat habe ich mich getraut in diesem Wahnsinn mitzumischen. Die Stadt ist wesentlich ruhiger als Saigon und mit den Erfahrungen, die ich in Thailand und Kambodscha gesammelt habe sollte es doch möglich sein gesund von A nach B zu kommen.

Irgendwie bin ich heute froh darüber, dass ich mich damals, zu meiner Motorradzeit, wenig um Verkehrsregeln gekümmert habe. Da habe ich wohl den Grundstein für das Verstehen des vietnamesischen Verkehrs gelegt 😉 Vorausschauendes fahren ist extrem wichtig und ein neues Beurteilen der aktuellen Situation im Sekundentakt verpflichtend!

Genauso wichtig ist es mit dem Verkehr zu fliessen und eindeutig zu fahren! Beim Abbiegen hilft Blinken, zusätzliches Handzeichen und die Bereitschaft schon früher die Fahrbahnseite zu wechseln, wenn gerade Platz ist, – als Geisterfahrer kann man ja dann bis zur eigentlichen Abbiegestelle weiterfahren. Trotzdem ist es ungemein anstrengender mit permanenten Geisterfahrern und links wie rechts überholenden Mopeds umgeben zu sein, die plötzlich anhalten oder ohne zu schauen vom Gehweg auf die Fahrbahn wechseln. Mit dabei sind natürlich auch noch weitere ungeübte Touristen jeglichen Tempos und auch senile Einheimische, die so langsam und uneindeutig fahren, als ob sie als Verkehrsberuhigung bestellt worden sind. Nur einmal zieht ein völlig verrückter Raser an uns vorbei. Da blieb mir kurz das Herz stehen. Alles andere scheint irgendwie kalkulierbar.

Noch gar nicht erwähnt habe ich Straßenqualität. Hier gibt es Schlaglöcher, das glaubst du nicht! Wenn du da reinfährst oder fällst, bleibst du sofort stehen und gehst über den Lenker! Um 10 cm tiefer gelegte Kanaldeckel, Brückenabsätze und plötzlich fehlende Straßenteile sind Alltag und kommen ohne Vorankündigung. Zwischendurch hast du den Luxus von richtig gut asphaltierten Straßen. Du mußt nur jederzeit mit den genannten Schäden rechnen.

Nach ein paar Stadtverkehrserfahrungen und ersten Ortskenntnissen läuft es richtig gut und ich kann meistens im Verkehr mitschwimmen bzw. unauffällig teilnehmen. Solange wir den Weg kennen und im Fluss bleiben geht es tatsächlich besser als gedacht und manchmal macht es sogar Spass! Wäre da nicht die mangelnde Schutzkleidung und das Wissen um die reale Gefahr, wäre ich sicher entspannter und weniger gestresst. Hier einen Unfall zu haben ist ein Alptraum!
So fahre ich die ganze Zeit hochkonzentriert und versuche zum einen wenig überholt zu werden und zum anderen dem Gegenverkehr jederzeit ausweichen zu können. Sehe ich einen Bus im Rückspiegel, reihe ich mich ganz rechts ein. Das signalisiert dem Busfahrer meine „Anerkennung“ und dadurch werden wir seltener von deren Schiffshorn weggeblasen. Wenn dir auf einer zweispurigen Landstraße zwei Busse entgegenkommen heisst es auch erstmal runter vom Gas und rechts ran. Sobald die Straße etwas breiter wird, wird auch zweispurig überholt, Hauptsache der Gegenverkehr hat keinen Platz mehr. Der Größere hat Vorfahrt und Busse sind überall. Man kann sich kaum vorstellen, wie rücksichtslos außerhalb der Stadt überholt wird. Ein Überholvorgang wird wirklich nur im äußersten Notfall abgebrochen, d.h. wenn eine Vollbremsung des Gegenverkehrs nicht ausreicht den bevorstehenden Unfall zu vermeiden. Von Mopeds wird erwartet, dass sie sich in Luft auflösen. Leider gibt es immer wieder Fehleinschätzungen!

Es ist toll so unkompliziert und zeitlich ungebunden unterwegs sein zu können, doch nach dreieinhalb Tagen Mopedfahren in und um Dalat bin ich froh wieder Fussgänger zu sein. Denn obwohl Fussgänger die schwächsten Teilnehmer ohne jegliche Rechte des Straßenverkehrs sind, so werden sie trotzdem nicht einfach über den Haufen gefahren. Eine Handbreit Platz bleibt irgendwie immer 🙂